Herbst

Alte Kartoffelsorten

Vergessene Vielfalt

Alte Kartoffelsorten

Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) hat die Kartoffel zum Gemüse des Jahres 2003 gewählt.

Die Kartoffel ist eine Kulturpflanze mit einer langen, bewegten Geschichte. Sie wird bei uns seit mehr als 350 Jahren angebaut und ist von unserem Speiseplan nicht mehr wegzudenken.

Wir genießen sie vielfältig zubereitet: als einfache Pellkartoffel, als Pürree, Kroketten, Klöße oder Pommes frites. Der kundige Verbraucher unterscheidet zwischen Frühkartoffeln und lagerfähigen Sorten. Auch weiß er um die unterschiedliche Eignung der verschiedenen Kochtypen (mehlig, vorwiegend festkochend, festkochend) für bestimmte Gerichte.
Bei der Frage nach dem Sortennamen hat man am ehesten Erfolg bei eingefleischten Hobbygärtnern oder überzeugten Bioköstlern. Sie sind meistens mit den Kartoffelsorten der Region vertraut und nennen mühelos Namen wie ‘Sieglinde’, ‘Granola’, ‘Berber’, ‘Nicola’ und ‘Cilena’. Dabei sind dies nur einige der in Deutschland gemäß Sortenliste rund 180 zugelassenen Kartoffelsorten! Dieser Umfang mag überraschen, da das Angebot an Speisekartoffelsorten regional eng begrenzt ist. Grund dafür ist die unterschiedliche Eignung einzelner Sorten für das jeweilige Anbaugebiet, aber auch die regionale Vorliebe für bestimmte Kochtypen. So verwundert es nicht, dass sich beim Durchschnittsverbraucher der Eindruck gefestigt hat, Kartoffel ist eben Kartoffel. Und abgesehen vom Kochtyp haben wir – was den Geschmack angeht – tatsächlich oft eine Art „Einheitskartoffel“ auf dem Teller liegen.

Ursprüngliche Vielfalt

Dies war nicht immer so. Ende des 19. Jahrhunderts gab es zum Beispiel in deutschen Landen immerhin fast 1000 verschiedene Kartoffelsorten, die weder eine Einheitsform noch eine Einheitsfarbe, geschweige denn einen Einheitsgeschmack aufwiesen. Die alten Kartoffelsorten waren länglich, hörnchenförmig, rund, aber auch knorrig verwachsen. Es herrschte eine Vielfalt an Schalenfarben von Rosa, Violett über Blau bis Braun. Auch die Fleischfarbe war nicht immer gelb, es kamen auch blau- und rosafleischige Kartoffeln auf den Tisch. Beeindruckend war jedoch vor allem die geschmackliche Palette, die von cremig, würzig, erdig bis buttrig reichte. Alte Sorten wie ‘Hermanns Blaue’, ‘Bamberger Hörnchen’ oder ‘Ackersegen’ sind vielleicht noch unseren Großvätern bekannt, die sie einst im Garten angepflanzt haben.

Alte Sorten neu entdeckt

kartoffel2 230Dass die Kartoffel im 16. Jahrhundert zunächst als Zierpflanze in die fürstlichen Gärten gelangte, verwundert beim Anblick der hübschen Blüten mancher alter Sorten nicht.

Glücklicherweise haben engagierte Landwirte längst vergessene Kartoffelsorten aus den Archiven von Genbanken geholt. Dort fristeten sie mit alten Obst- und Gemüsesorten ein Schattendasein. Die Motivation für ihren Anbau ist ganz verschieden: Einige sehen in den alten Originalen ein ländliches Kulturgut, das lebendig erhalten und gepflegt werden muss. Verfechter der Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt möchten wiederum verhindern, dass diese wertvolle genetischeVielfalt lediglich in Archiven von Genbanken ihr Dasein fristet und vielleicht irgendwann gänzlich in Vergessenheit gerät. Zu diesem Zweck gründete sich u. a. der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt VEN, der an interessierte Hobbygärtner Patenschaften für einzelne Sorten vergibt, die sie im Garten anpflanzen dürfen. Auf diese Weise kommen Liebhaber alter Sorten nicht nur in den Genuss ungeahnter Gaumenfreuden, sondern machen auch wertvolle Erfahrungen über das Anbauverhalten der Sorten unter heutigen Bedingungen. VEN sammelt diese Beobachtungen und wertet sie aus, so dass man die alten Sorten nach und nach wieder kennen lernt und in kleinem Umfang zu ihrer Vermehrung beitragen kann. Denn eine amtliche Zulassung haben diese Unikate bei uns nicht mehr, das heißt sie dürfen laut Saatgutverkehrsgesetz oder Sortenschutzgesetz nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Das hat zur Folge, dass die Züchter sie nicht vermehren dürfen. Wie kam es dazu?

Die moderne Landwirtschaft, die auf hohe Produktivität ausgerichtet ist, verlangt z.B. einheitliche Knollenformen, die man maschinell ernten und verlesen kann. Einheitliche Knollen sind auch für die industrielle Weiterverarbeitung unabdingbar. DiesemAnspruch werden die ungleichförmigen und zum Teil verwachsenen Knollen alter Sorten nicht gerecht. Die verzweigten Hörnchenkartoffeln zum Beispiel brechen leicht und fallen beim Roden und Sortieren durch. Weil dies zuVerlusten führt, ist viel Handarbeit angesagt. Die Verfechter alter Kartoffelsorten sind dagegen derAuffassung, dass der erhöhte Aufwand durch Originalität und außergewöhnlichen Geschmack aufgewogen wird. Werfen wir einen Blick zu unseren französischen Nachbarn, die eine bunte Kartoffelvielfalt auf ihren Märkten anbieten, u .a. die bekannte Gourmet-Kartoffel ‘La Ratte’ – man könnte sie durchaus als das französische Pendant unseres ‘Bamberger Hörnchens’ bezeichnen –, so steht dort der Essgenuss ebenfalls über dem ökonomischen Gedanken, was wieder einmal für das „savoir vivre“ der Franzosen spricht.

Pionierarbeit

Diesem Aspekt will auch der Biobauer Karsten Ellenberg aus dem niedersächsischen Barum gerecht werden. Auf seinem Biolandhof baut er bereits mehr als 100 alte Sorten an, in denen er eine wertvolle genetische Grundlage zur Herauszüchtung künftiger neuer Sorten sieht, die durch ihre Andersartigkeit in Geschmack, Form und Farbe eine willkommene Abwechslung zu den herkömmlichen Sorten darstellen könnten. Hierzu müsste allerdings der Gesetzgeber in puncto Sortenzulassung und Saatguthandel einige Änderungen vornehmen. Da die Lobby für die alten Sorten wächst, stehen die Chancen gar nicht schlecht. Es gilt abzuwarten und Erhaltungsarbeit zu betreiben. In der Zwischenzeit erprobt Landwirt Ellenberg die alten Sorten im Bioanbau. In seinem Sortiment finden sich ‘Ackersegen’, ‘Hermanns Blaue’, ‘Odenwälder Blaue’, ‘Reichskanzler’, um nur einige deutsche Veteranen zu nennen. Das Pflanzgut bezieht er von verschiedenen Genbanken, unter anderem aus der Genbank von Groß Lüsewitz. Aus diesem Material zieht er durch Stecklingsvermehrung virusfreies Pflanzenmaterial heran. Dies ist bei der Kartoffel besonders wichtig, da sie auf mehrmaligen Nachbau mit „Abbau“ reagiert. Karsten Ellenberg testet die historischen Sorten auf ihre Widerstandfähigkeit gegen häufige Krankheiten wie Kraut- und Knollenfäule. Robustheit ist gerade im Bioanbau von Bedeutung, da hier die Bekämpfungsmöglichkeiten eng begrenzt sind. Daneben stehen die Knollen hinsichtlich Qualität, Gesundheit und Geschmack auf dem Prüfstand. So kann Karsten Ellenberg jedes Jahr rechtzeitig zur Kartoffelsaison seinen Kunden bereits grundlegende Anbauempfehlungen mit auf denWeg geben. Verkaufen kann er die alten Sorten offiziell nur als Speisekartoffeln, denn das ist gesetzlich erlaubt. Niemand wird aber etwas dagegen einwenden, wenn einige Knollen schließlich statt auf dem Teller versuchsweise ihren Platz im Gartenbeet finden. Über einen dafür eingerichteten Versandhandel können Verbraucher die gewünschten Sorten bestellen – solange derVorrat reicht.Abnehmer sind auch Gourmets und Restaurants, die ihre Gäste mit einem originellen Gericht, etwa einem blauen Pürree oder einem bunten Kartoffelsalat aus gelben, roten und blauen Kartöffelchen, überraschen möchten.

Auswahl alter Sorten

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Alte Kartoffelsorten

Bezugsadresse:
Biolandhof
Karsten Ellenberg,
Ebsdorferstr. 1, 29576 Barum,
Telefon 05806-304, Fax 05806-1250,
kartoffelvielfalt@t-online.de,
www.kartoffelvielfalt.de

Infoadresse:
Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN),
Ursula Reinhard,
Sandbachstr.5, 38162 Schandelah,
Tel./Fax 05306-1402,
www.nutzpflanzenvielfalt.de

Für den gärtnerischen Anbau ist z.B. ‘Bamberger Hörnchen’ sehr gut geeignet Die Sorte aus dem Raum Bamberg stammt aus der Zeit um 1870. Sie wächst ca. 1,20 m hoch, legt sich zuweilen ab, was unbedenklich ist, und reift spät. Die Sorte blüht weiß und erweist sich im Anbau als sehr robust. Ihre länglich-hörnchenförmigen Knollen sind von einer gelben Schale mit einem leicht rosa Schimmer umgeben; darunter verbirgt sich das gelbe Fruchtfleisch. Als festkochende Sorte schmeckt sie unverwechselbar würzig und buttrig. ‘Bamberger Hörnchen’ ist prädestiniert für Leute, die es nicht so exotisch mögen, aber sich den kulinarischen Reiz einer Hörnchenkartoffel nicht entgehen lassen möchten. Am besten isst man sie als Pellkartoffel. ‘Ackersegen’ ist eine mehlige Kartoffel, die schon 1929 in Deutschland angebaut wurde und bis vor der Wende in den neuen Bundesländern sehr beliebt war. Die Sorte eignet sich ebenfalls sehr gut für den Garten geeignet. Die buschigen Pflanzen können über 1m hoch werden, blühen weiß und reifen spät ab. Man kann sie als robust und ertragreich einstufen. Die runde Knolle hat tiefereAugen, ist gelbschalig und gelbfleischig. Kartoffelliebhaber schätzen ihren typisch cremigen Geschmack und betrachten sie auch heute noch als eine der besten mehligen Sorten. ‘Reichskanzler’ wurde in Deutschland erstmals 1885 erwähnt. Die Pflanze wächst buschig über 1 m hoch, blüht rosa, ist robust gegen Krankheiten und eher spätreifend. Die runden Knollen haben eine rosa bis rote Schale, aber weißes, mehliges Fleisch mit einem kräftigen, erdigen Geschmack. Wer eine farblich ausgefallene Kartoffel probieren möchte, kann es mit ‘Hermanns Blaue’ versuchen, einer deutschen Veteranin mit blauer Schale und blauem Fleisch. Das genaue Alter ist nicht mehr auszumachen. Die Pflanze blüht hübsch lila, reift mittelfrüh und bringt im Vergleich zu den vorgenannten Sorten eher geringe Erträge. Aus der vorwiegend festkochenden Kartoffel lässt sich ein originelles blaues Kartoffelpürree zaubern, oder man serviert einmal blaue Salzkartoffeln. Fast exotisch mutet die alte schottische Sorte ‘Highland Burgundy Red’ an, die Karsten Ellenberg ebenfalls in seinem Sortiment führt. Die länglichen Knollen sind rotschalig und rotfleischig. Die Pflanze bildet urtümliche rote Stängel, weiße Blüten und zeigt eine eher spärliche Blattentwicklung, weshalb die Reihen sich oft nicht ganz schließen. ‘Highland Burgundy Red’ist robust gegen Krautfäule und bringt durchschnittliche Erträge. Ihr Geschmack besticht jedoch ungemein: Die Kartoffel schmeckt leicht süßlich und angenehm mild. In Kombination mit einer gelbfleischigen Sorte, lassen sich die roten Knollen zu einem herrlich bunten Kartoffelsalat verarbeiten. Für den Anbau dieser Kartoffel- Originale im Garten gelten grundlegend die gleichen Bedingungen wie für herkömmliche Sorten.

Dr. Susanne Martin, Wolfschlugen

Artikel aus Obst&Garten (2/2003), mit freundlicher Genehmigung Verlag Ulmer, Stuttgart.

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